WAZ, 16.08.2008

Was ist der Titel wert?

Das Etikett "Europäische Kulturhauptstadt" ist begehrt. Doch während Luxemburg oder Glasgow damit ihr Image aufpolieren, verpuffte die Wirkung der Kulturprojekte in Weimar und Patras. Nun die Titel-Bilanz in Buchform

Von Ilias Abawi

Bochum. In Weimar war das Kulturhauptstadtjahr 1999 ein Strohfeuer, das lediglich zwölf Monate lang brannte. Im griechischen Patras verhinderten 2006 politische Intrigen ein erfolgreiches Gelingen des kulturellen Ereignisses. 2010 werden Essen und das Ruhrgebiet die Kulturhauptstadt Europas sein. Doch was wird das Etikett „Kulturhauptstadt" der Region nach 2010 bringen?
Jürgen Mittag , Geschäftsführer des Instituts für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum, hat die Frage anders formuliert: Was hat das Etikett den bisherigen Kulturhauptstädten gebracht?
Ein Team von Wissenschaftlern, darunter Historiker, Soziologen, Kultur- und Sozialwissenschaftler, ist der Frage nachgegangen. Herausgekommen ist das Buch „Die Idee der Kulturhauptstadt Europas: Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen europäischer Kulturpolitik". Erstmals wird eine Bilanz aller Kulturhauptstädte seit Athen 1985 gezogen – Fazit: Manche Städte profitierten vom Titel, andere nicht.
Weimar, die Kulturhauptstadt Europas im Jahr 1999, ist ein Beispiel dafür, dass das Projekt sang- und klanglos verpuffen kann. „In Weimar waren mehrere Defizite zu beobachten", erklärt Jürgen Mittag , Herausgeber des Buches: Der Etat habe nicht gereicht, um den Bürgern der Stadt das kulturelle Angebot auch nach 1999 bieten zu können. „Konzerthäuser und Museen sind wieder geschlossen worden, die kleine Stadt hat das große Projekt nicht schultern können." Nachhaltige Effekte seien ausgeblieben.
Im griechischen Patras waren es 2006 Querelen innerhalb der Politik, die ein erfolgreiches Kulturhauptstadtjahr verhinderten. „Die Stadtspitze trat nicht geschlossen auf, die Vorbereitungen liefen zu spät an, die Werbung funktionierte nicht, es wurden Gelder für Kulturprojekte blockiert", sagt Mittag . Die Folge: Patras war Kulturhauptstadt – und keinen in Europa interessierte es.
Glasgow dagegen sei es gelungen, im Kulturhauptstadtjahr 1990 sein düsteres Image abzulegen. „Plötzlich war vom neuen hellen Stern am Kulturhimmel die Rede", erklärt Mittag . Der Grund: In Glasgow begannen die Vorbereitungen früh, die Infrastruktur wurde verbessert, neue Konzerthäuser und Museen gebaut. „Und das Beste daran: Die verbesserte Infrastruktur besteht immer noch, auch die Konzerthäuser und Museen wurden beibehalten."
Nennenswert sei auch Luxemburg, das 1995 und 2007 (mit angrenzenden Regionen) Kulturhauptstadt war. Simone Beck, die Generalkoordinatorin des Network for European Cities of Culture, wird in dem Buch mit den folgenden Worten zitiert: „Wir haben Luxemburg auf eine europäische kulturelle Karte gesetzt, wo es bis dahin nicht war. Es war ein Anfang, eine Blüte, die aufging."
Im Jahr 2010 wird Essen nicht die einzige Kulturhauptstadt Europas sein, sondern muss sich den Titel mit dem ungarischen Pe´cs und dem türkischen Istanbul teilen. Das Ruhrgebiet sieht Jürgen Mittag bereits auf einem guten Weg in Richtung 2010. „Die Vorbereitungen fürs Kulturjahr haben sehr früh begonnen, das ist wichtig." Dass das Projekt Ruhr.2010 ein einmaliges Strohfeuer sein könnte, sei nicht zu befürchten.

» Klartext-Verlag, 240 Seiten, 19,90 Euro Top und Flop: In Luxemburg (oben) hatte das Kulturhauptstadt-Jahr 2007 spannende Gesichter, im griechischen Patras (unten) ging dagegen 2006 so ziemlich alles schief. Fotos: dpa/pa


zit. nach:
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