Generalanzeiger Bonn, 19.02.2008

Der Menschenfischer im Licht der Wissenschaft

Aktuelles politisches Buch: Weggefährten und Forscher schreiben über Johannes Rau

Von Katharina Heimeier

Düsseldorf. Die bronzene Johannes-Rau-Statue steht im Moment nicht an ihrem Platz vor der Villa Horion. Sie musste wegen Bauarbeiten an dem Amtssitz des früheren NRW-Ministerpräsidenten in den Landtag umziehen und kommt erst im Mai zurück. Doch auch so war der im Januar 2006 verstorbene Landesvater und Bundespräsident gestern Nachmittag in der Villa Horion allgegenwärtig. Im Beisein seiner Witwe Christina wurde ein Sammelband mit 24 Aufsätzen über Raus politisches Leben vorgestellt. Versöhnen statt spalten" heißt das Buch. Mit diesem Motto hatte sich der Sozialdemokrat im Bundestagswahlkampf 1987 um das Amt des Bundeskanzlers beworben. Es ist ein Buchtitel, der naheliegt. "Wer wenn nicht er, hat dies glaubwürdig praktiziert", sagte Altbundespräsident Richard von Weizsäcker bei der Vorstellung des Buches. Er berichtete von seinen eigenen Erinnerungen an Rau, den er 1965 auf dem Evangelischen Kirchentag in Köln kennen gelernt hatte. Schon damals sei Rau "seiner ganzen Natur nach ein großer Reformer" gewesen. Auch in dem Aufsatzband finden sich persönliche Bemerkungen der Autoren zu Rau, der von 1978 bis 1998 NRW regierte und von 1999 bis 2004 Bundespräsident war. Doch: "Die Autoren stellen sich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung", sagte Gabriele Behler, die unter Rau Schulministerin war und auch einen Beitrag verfasst hat. Oft tritt die eigentliche Sachpolitik Raus hinter dem Bild des Menschenfischers zurück", stellte sie fest. Zu den Autoren gehören auch Erhard Eppler, Raus langjähriger Weggefährte, und der aktuelle SPD-Landesvize Karsten Rudolph.

Die Herausgeber, die Bochumer Historiker Jürgen Mittag und Klaus Tenfelde, wünschen sich, dass der Band einen Einstieg in die zeitgeschichtliche Auseinandersetzung mit Rau liefert. Gerade für die SPD sei er eminent wichtig, schreibt der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler und stellt ihn Rudolf Scharping, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine gegenüber: "Es ist ein Glücksfall, dass im Licht der Abendsonne, das jetzt auf die SPD fällt, nicht umstrittene Männer als letzte Schlüsselfiguren der alten SPD dastehen wie der im Schwimmbecken gescheiterte Radfahrer, der zum Brioni-Laden stürmende Aufsichtsratsvorsitzende und erst Recht nicht der charakterlich höchst defizitäre Mini-Napoleon." Manche Autoren scheinen Rau auch ein Denkmal setzen zu wollen. Dennoch werden auch Tiefpunkte in Raus Karriere beschrieben - etwa seine erfolglose Kanzlerkandidatur. Der Politikwissenschaftler KarL-RudoIf Karte warnt vor Verklärungen. "Der Abgang Raus von der nordrhein-westfälischen Politikbühne war nicht geglückt. Er reihte sich in die lange Reihe von Ministerpräsidenten ein, die durch politische Realistätsverluste einer langen Regentschaft nicht vom Amt lassen können." Der Sammelband selbst ist entstanden aus einem wissenschaftlichen Symposium des Instituts für soziale Bewegungen der Ruhr­Universität Bochum, das ursprünglich gemeinsam mit Rau im Jahr 2006 stattfinden sollte. Doch soweit kam es nicht mehr. Das Symposium musste verschoben werden und wurde anlässlich des ersten Todestags nachgeholt.

Jürgen Mittag/Klaus Tenfelde (Hrsg.); Versöhnen statt spalten. Johannes Rau, Sozialdemokratie, Landespolitik und Zeitgeschichte. Asso-Verlag, Oberhausen 2007. 414 Seiten. 29,90 Euro


zit. nach: Presseschau Nordrhein-Westfalen 24, 19.02.2008