Westfälische Rundschau, 03.02.2007,

Johannes Rau, der ideale Staatsmann

Wissenschaftler und Weggefährten würdigen Leben und Werk des verstorbenen Bundespräsidenten

Von Petra Kappe

Bochum. Als einer der bedeutensten Politiker der Nachkriegsgeschichte wird Johannes Rau die zeigtgeschichtliche Forschung prägen. Erste Akzente zur wissenschaftlichen Aufbereitung seines Lebens und Wirkens setzte - ein Jahr nach seinem Tod - ein Symposium im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets in Bochum.

Enge Freunde, Wegbgleiter und Wissenschaftler spürten dem Phänomen Rau nach, der, wie es der frühere brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe beschrieb, so gar nicht dem Klischee eines Politikers entsprach, der "beißen, schlagen und den Dolch von hinten reinstechen musss". Johannes Rau, der Bundespräsident und langjährige Ministerpräsident von NRW, habe unter dem "Freund-Feind-Denken" in der Politik gelitten. Die Auseinandersetzung hat er nicht gescheut. In Kampfabstimmungen - 1977 gegen Friedhelm Fahrtmann, 1978 gegen Diether Posser - setzte Rau seinen Weg an die Spitze von Partei und Reguerung durch. Christoph Zöpel nannte das in Bochum einen "grandiosen Legitimationsprozess", der das Fundament für die Ära Rau gelegt habe. Wer über Jahrzehnte die Geschicke eines Landes leiten will, der muss nach den Worten von Hans-Ulrich Wehner (Bielefeld), um Macht kämpfen und sie behaupten. Der "Kümmerer", der die Menschen ernst nahm, der Versöhner, der in behutsamen Schritten ihre Lebensuzmstände verbessern wollte, zog sich wie ein roter Faden durch die Tagung. Im Beisein von Witwe Christina Rau ließen nicht nur Weggefährten, auch Wissenschaftler Repsekt und für die Lebensleistung und Zuneigung für den Menschen erkennen. Unter dem Titel "Versöhnen statt Spalten" würdiget die zweitägige Konferenz Raus Wirken in der Landespolitik, die Entwicklung der SPD, die er für breite Schichten öffnete, das Verhältnis zu Israel und seine Zeit als Bundespräsident. Für Ulrich von Alemann (Düsseldorf) war Rau ein "großer Präsident", der den "Idealtypus des Staatsmannes" verkörperte.
1987, als Kanzlerkandidat der SPD, war er noch "der falsche Kandidat zur falschen Zeit mit dem falschen Programm am falschen Ort", wie Wichard Woyke (Münster) es ausdrückte. "Aber: jeder andere hätte auch keine Chance gehabt." Die SPD sei damals nicht regierungsfähig gewesen. In der Analyse von Wehner, die Gastgeber Klaus Tenfelde vom Bochumer Institut für soziale Bewegungen vortrug, ist sie es bis heute nicht. Raus Motto "Versöhnen statt Spalten" sei "hochaktuell", betonten die Sozialdemokraten Ilse Brusis, Manfred Stolpe und Karsten Rudolph übereinstimmend und waren sich auch in der Feststellung einig: "Johannes Rau hätte das anders gemacht." Gemeint war der amtierende NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers mit seinem Konfronrtationskurs gegen den Kohlekompromiss. Feinfühliger und geschickter, so die Überzeugung, hätte Rau das gleiche Ziel verfolgt: das Land zu entlasten und mehr Geld vom Bund für die Ewigkeitskosten zu bekommen. Humorvolles wie Stolpes Eingeständnis, er habe hin und wieder die Bibelsprüche überprüft, die Rau gern zitierte ("Die meisten stimmten"), hörten Teilnehmer ebenso wie Hintergründiges und Schilderungen aus persönlichen Begegnungen. Vor allem aber trug die Tagung Fragen an die Forschung zusammen: War Rau ein Mann des Übergangs? War er ein Europäer? Welchen Einfluss nahm er auf die Programmatik der SPD? Tenfelde warnte vor "voreiligen Etikettierungen" und "vorschnellen Verdikten" und richtete den Blick auf die bevorstehende Arbeit: An Akten und Archiven, die es aufzuarbeiten gilt, mangelt es nicht.


Zit. nach: Westfälische Rundschau v. 03.02.2007.