Westfalenpost, 03.02.2007, Mantel

"Mich lässt er einfach nicht los"

Ein Jahr nach seinem Tod diskutieren Gerfährten und Kontrahenten über Politik und Stil von Johannes Rau

Von Nina Grunsky

Es war, als ob er mit auf dem Podium säße: Gewerkschafter und Arbeitgeber, Sozial- und Christdemokraten, Vetreter von Stahl und Kohle diskutieren in der Sache ernst, gingen dabei aber äußerst pfleglich miteinander um. "Versöhnen statt Spalten" - das Motto des verstorbenen Bundespräsidenten wirkte nach. Nicht nur als Thema eines wissenschaftlichen Symposiums, das das Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum nun ein Jahr nach dem Tod des früheren nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten veranstaltete. In der Politik gewinne dieser Regierungsstil Raus angesichts der Atomisierung und Vereinzelung der Gesellschaft derzeit wieder an Bedeutung, war sich das Podium enig. Dort diskutierten im Rahem der Veranstaltung unter der Moderation von WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz Weggefährten und Kontrahenten Raus: die frühere Landesministerin Ilse Brusis, Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe, Heinz Kriwet, einst Vorstand der Thyssen AG, Wilhelm Beermann, Vizepräsident des Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlenbergbaus sowie Karsten Rudolph, Vizechef der NRW-Sozialdemokraten. "Bei allem, Trennenden in der Gesellschaft, ein einigendes politisches Gegenprogramm zu entwickeln, ist wieder ungemein modern", erklärte Rudolph. Wobei Raus Motto keineswegs so zu verstehen sei, dass man Konflikte nicht anspreche und ausdiskutiere. Trotz aller Meinungsunterschiede aber habe Rau stets dem Gegenüber Respekt gezeigt, Anstand bewiesen, er habe es verstanden die Menschen mitzunehmen, zu fesseln, ihnen Mut zu machen, sie ernst zu nehmen. "Im Umgang mit anderen hat er die christlichen Werte hochgehalten", sagte Manfred Stolpe. "Darin war er in der Politik ein Außenseiter." Rau, so stimmte das Podium überein, sei ein Beleg dafür, wie wichtig Persönlichkeiten in der Politik seien. "Man findet Verhältnisse vor, aber was aus ihnen gemacht wird, bestimmen die Menschen", so Rudolph. Was allein ein Blick auf die lange Liste der Vorträge des insgesamt zweitätigen Symposiums bestätigte: Namhafte Politikwissenschaftler, Historiker und Politiker analysierten Raus Wirken in der SPD, in Bund und Land, in der Bildungs- und Kulturpolitik, seinen Einfluß auf den Strukturwandel und die europäische Einigung sowie die Aussöhnung mit Israel. Vielen von ihnen ging es vermutlich wie Manfred Stolpe: "Mich lässt er einfach nicht los."


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