WAZ, 29.06.2005, Lokalausgabe Bochum

"Ruinenkinder" überlebten in Zeiten von Not und Entbehrung

Dokumentation ruft Erinnerung an Nachkriegsjahre wach

Von Jürgen Boebers-Süßmann

60 Jahre nach Kriegsende ist nicht nur bei der älteren Generation das Bedürfnis groß, mehr über die unmittelbare Nachkriegszeit zu erfahren. Eine Zeit, die geprägt war von Hunger und Entbehrungen, aber auch von der Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft. Der "Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet nach dem Zweiten Weltkrieg" spürt das Buch "Ruinenkinder" nach (Klartext Verlag, 14,90 Euro). Verfasser ist Heinz-Jürgen Priamus, der langjährige Leiter des Stadtarchivs Gelsenkirchen. Das Buch zeigt den Alltag, das Leid und den Drangsal, denen die Kinder in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesetzt waren. Es will versuchen, jungen Leuten die Frage zu beantworten, unter welchen Bedingungen ihre Mütter und Väter, Großmütter und Großväter heranwuchsen. Von der Schulspeisung bis zu der fast aussichtslosen Suche nach Schuhwerk, von "Der normalen Not" (hungrig, barfuß, krank) bis zu demokratischen Umerziehung durch die Alliierten, entfaltet Priamus - selbst ein "Ruinenkind" - in seiner mit zahlreichen historischen Fotos versehenen Publikation ein erschreckendes Panorama des Überlebens zwischen Schwarzmarkt und Nissenhütte. Die Dokumentation ist gerade wegen ihres unpathetischen Bericht-Stils ein bewegendes Dokument. Nicht nur für jene, die die späten 40er Jahre selbst erlebt haben. Wie es nach dem Zusammenbruch auf dem Weg hin zur Demokratie weiter ging, darüber informiert ein Vortrag am Freitag, 1. Juli. Der renommierte Historiker und frühere Professor der Ruhr-Universität, Prof. Hans Mommsen, spricht zum Thema "Kriegsniederlage 1945 und der Weg zur parlamentarischen Demokratie". Der öffentliche Vortrag beginn um 17 Uhr im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets, Clemensstraße 17-19. Es handelt sich um einen Festvortrag anlässlich des 25jährigen Bestehens des Vereins zur Förderung der Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung. Hingewiesen sei auch noch einmal auf die schon ausführlich vorgestellte Dokumentation "Ende und Anfang. Die Befreiung von Faschismus und Krieg", in der der Autor Günter Gleising die Chronologie der Ereignisse der letzten Kriegstage speziell für Bochum und Wattenscheid auflistet (Ruhr Echo Verlag, 6,50 Euro). Der Katalog des Schreckens reicht von Exekutionen der Gestapo in der Bergstraße im März 1945 bis zur Ermordung von 20 Zwangsarbeitern in Höntrop im April 1945.


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