Autobiographisches Manuskript von Vincentius Gozdzikowski
Der 1875 in Westpreußen geborene Bergmann Vinzent Gozdzikowski schrieb Ostern 1950 einen kurzen Bericht über sein Leben als Bergmann und Gewerkschaftsfunktionär im Ruhrgebiet nieder. Maßregelungen während des Kaiserreichs, der Erste Weltkrieg und die politische Verfolgung im Nationalsozialismus führten zu einem entbehrungsreichen und unsteten Leben.
Wir stellen das Manuskript zusammen mit einer transkribierten Fassung hier vor.
[Seite] I
Mein Leben Vincentius Gozdzikowski Allgemeines Im allgemeinen Vinzent.= Aussprache = Gotschikofski, geboren am 20. Juli 1875 in in Papau-Thorn-Westpreußen, Sohn des Steinsetzers Felix G. – „Häusler“ – soviel wie
seiner Eltern die Leibeigene eines Rittergutes in der Gemarkung Thorn waren. Näheres über den Vater fehlt - da er die Mutter frühzeitlich verlassen hat. Die Mutter war eine verwitwete Lewandowski. Ihr erster Ehemann war Kriegsteilnehmer 1870-71. Seine schwere Kriegsverwundung führte zum frühzeitigen Tod. Aus der ersten Ehe =Lewandowski sind 5 Söhne und eine Tochter hervorgegangen. Aus der zweiten Ehe bin ich und ein Bruder Leo als Jüngster hervorgegangen. Die Söhne aus erster Ehe sind alle verstorben und haben alle ein hohes Alter bis 80 Jahren, erreicht. Mein Bruder Leo hat sich frühzeitlich – nach der Schulentlassung von uns getrennt und ist unbekant (Sic!) im Jahre 1906 oder 1907 in Berlin verstorben. Die Tochter Anna aus der ersten Ehe meiner Mutter, die im Alter von 78 Jahren steht, war mit Josef Klinkowski verehelicht. Ihr Name ist [Streichung] [Streichung] ungeändert[2] in Klinkhoff und wohnt zz in Hochheide-Homberg a/ [Streichung] Niederrhein. Ihre Kinder wohnen zum Teil in Homberg und zum Teil in Düsseldorf. Ihr Ehemann ist im Jahre 1946 verstorben. Meine Mutter verstarb im Jahre 1898 im Krankenhaus der Stadt Zeitz.
[1] Streichungen im Text wurden als durchgestrichene Worte ausgeschrieben, sofern sie entzifferbar waren. Unentzifferbare Streichungen sind im Transskript als [Streichung] vermerkt. Abkürzungen wurden in eckigen Klammern aufgelöst. Hinzufügungen sind insgesamt durch eckige Klammern gekennzeichnet. Korrekturen von Rechtschreibfehlern erfolgten, sofern nötig, in den Fußnoten. Unklare Lesarten sind durch ein [?] gekennzeichnet. [2] umgeändert |
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[Seite] II
Mein Leben. Meine Geburtsstätte ist Thorn Vorort Papau-Westpreußen. Nachdem mein Vater Felix G. meine Mutter 1879 verlassen hatte, wanderten ihre Söhne aus erster Ehe (Lewandowski) Auf Grund einer Anwerbung von Grubenarbeitern der Mansfelder Kupfer u[nd]- Schiefergruben Gewerkschaft[1] Eisleben nach dort aus. Sie arbeiteten alle 5 auf den Otto Schachten in Wimmelburg bei Eisleben. Im Jahre 1880 ließen sie die Mutter mit ihren 2 Söhnen zu denen auch ich gehörte, und ihrer Tochter Anna, (Glinkowski) nach Eisleben kommen. Nach Erreichung des schulpflichtigen Alters besuchte ich die katholische Volksschule in Eisleben. Inanbetracht der mangenhalften deutschen Sprache war die elementare Schulausbildung [Streichung] sehr schwierig und daher mangelhaft. Nach meiner Schulentlassung Ostern 1889, nahm ich nach Erreichung des 14ten Lebensjahrs die Bergarbeit auf Otto Schacht in Wimmelburg [Streichung] auf. Nachdem im Jahre 1892 die Schächte durch Eindringen von Wasser des Reblinger[2] Salzsees (Oberreblingen[3]) die Schächte zum Ersaufen brachten, verzogen 2 der älteren Brüder nach Zeitz und und nahmen dort auf den Braunkohlen Gruben die Bergarbeit wieder auf. Ende 1892 verzog auch ich nach Lukenau – Streckau (Zeitzer Revier) und arbeitete auf Grube Emma in |
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[Seite] III
Im Jahre 1897 wurde ich zum aktiven Heeresdienst eingezogen und diente 2 Jahre – 97-99 beim Füsilierregiment 35 in Brandenburg a/ Havel. Wurde nach einjähriger Dienstzeit zum Gefreiten ernannt und im Herbst 1899 als Unteroffz[offizier]=astbirant[1] entlassen. Nach der Entlassung nahm ich im Rheinland Hamborn-Duisburg auf den Tüssen[2]-Schächten in Hamborn die Bergarbeit [Streichung] [Streichung], wieder auf. Meine politische u.[nd] gewerkschaftl.[iche] Betätigung. Schon in den Jahren 1895-97 betätigte ich mich an der politischen und gewerkschaftl.[ichen] Arbeit. Alles musste damals in strengster Geheimarbeit geleistet werden. Eine feste öffentl.[iche] Arbeit gab es da- mals nicht, da die Gefahren der Entlassung und Verfolgung zu groß waren. Diese Betätigung und Anregung durch ältere Mitarbeiter gab mir Veranlassung zur Selbstschulung elementaren Staats und sozial=gebiete [Streichung]. Nach meiner Entlassung aus dem aktiven Heeres- dienst im September 1899 schloß ich mich gleich der S.P.D. Partei (1.10.1899) und gewerkschaft= dem damaligen Bergarbeiter Verband Bochum am gleichen Datum an. Mein erstes öffentliche[s] Auftreten in öffentl.[icher] Verslg. [Versammlung] – November u[nd] Dezember 1899 an dem [?]
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[Seite] IV
an denen der damalige Reichstags- abgeordnete Otto Hue, Herm.[ann] Sachse und Verbandssekretär Poterrey teilnahmen, veranlasste die Mitgliedschaft [?] der SPD. und des Bergarbeiter Verbands mich als Ortsvorsitzenden beider Richtungen [?], zu wählen. Diese Funktionen als Vorsitzender und Vertrauens- mann behielt ich Jahre lang und wurde stehts als Delegierter zu den Jahreshaupt-Versammlungen Konferenzen und auch zu den Internationalen Konferenzen stehts [?] gewählt, ganzgleich wo ich durch Maßreglung arbeiten musste. Gemaßregelt wurde ich: deutsche Kaiserschächte[1] in Bruckhausen 2x in Hamborn Schacht I1. Neumühl Schächte[2] 3, Rheinpreußen Schächte 2x, Zeche Brassert Marl 1, Rheinbaben 1. Damit befand ich mich jetzt Jahrhaft 2x auf Wanderschaft mit der Familie. Damit war aber auch eine nie erlahmende Verbundenheit und unumstössliches Vertrauen zwischen Partei und Verbandsmitgliedtschaft hergestellt das keine Maß- der Polizei und Zechenhern zu zerbrechen vermochten. Der grosse Bergarbeiterstreik im Februar 1905 im Ruhrgebiet belastete mich durch einstimmige Wahl als Führer des Streikes im Gebiet von Hamborn, Marxloh, Neumühl, Sterkrade und Bruckhausen, also mehr als 10 000 Bergarbeitern sehr schwer. Und doch keine Gefahr kennend und das Vertrauen dieser 10 000 Menschen gab mir die Kraft doch alles zum besten meiner Kumpels zum glücklichen Ende zu führen. |
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[Seite] V
Nach Beruhigung des Streiks folgte die übliche Maßreglung: Auf keiner Schacht- anlage erhielt ich Arbeit. Aus der Zechenwohnung
in Privat ziehen. Im Sommer 1905 wurde ich mit 10 Kameraden nach England zu dem damaligen Kaiserdelegierten (1889) August Siegel vom Hauptvorstand geschickt. Nach 6 wöchigem Aufenthalt mußte ich wegen Krankheit wieder zurück. Da die 6 monatliche Sperre aufgehoben wurde, wieder Arbeit auf Zeche Neumühl. Wieder Vertrauensmann, wieder Parteifunktionär, aber auch wieder Gemaßregelter . Machte Parteikurse in Duisburg und Gewerk= schaftskurse in Oberhausen und Berlin. Am 1 März 1907 wurde ich als Bezirksleiter in Bochum und später in Recklinghausen vom Verband bestätigt und angestellt. Ende 1912 wurde ich als Bezirksleiter nach Lothringen Sitz [?]… Ein gewaltiges Erzgebiet, ungehäuere schwere Arbeit und doch gute Erfolge [Streichung] auf gewerkschaftl.[ichem] u[nd] politischem Gebiet Am 2 August 1914 zum Kriegsdienst einbe- rufen. Kam nach Metz zur Man[n]schaf[t]sausbildung Wurd Unteroffizier.
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[Seite] VI
Januar 1905[1] Viezefeldwebel Etatsmäßiger Feldwebel . Am 1 Juli 05[3] nach Warschau als Besatzung abkommandiert. Nach dem Zusammenbruch 1918 nach Saarbrücken entlassen. dort bis Ende 1918 in Saarbrücken tätig, da keine Einreise nach Diedenhofen von den Franzosen gegeben wurde; da ich bei [Streichung] dem ersten Aufenthalt von 8 Tagen in Diedenhofen wieder politisch u[nd] gewerkschaftl.[ich] tätig war. Am 1 Januar 1919 vom Vorstand nach Oberschlesien abkommandirt bis die Familie im Juni 1919 in Siegen aus Lothringen mit einem Bündelchen von Sachen unter dem Arm eintraf. Alles verloren – kein Ersatz. Wurde im Juni nach Siegen versetzt und war Bergarbeiter im Siegerländer Erz- bergbau. Kein Geld, keine Sachen, keine Wohn- ung, und doch nicht verzagt. Keiner wollte uns 6 Personen aufnehmen. Wieder alle Funktionen der Partei und Verband über nommen. [Streichung] lassene Kinder mit tätig in Jugend und Partei. Es ging vorwärts. [Streichungen] In Siegen 1920 banner dessen Führer.
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[Seite] VII
1927 durch Modorrad[1] Unfall und vorgschritten[2] Alter nach Bochum zur Ruhrbezirk[s]leitung versetzt. Hier wieder Bezirksführer im Reichsbanner. Beschäftigt als Bibliothekar und Propagandist Lichtbildervorführer. Die Tochter Charlotte und [Streichung] Sohn Alfred die in der Partei, erstere im S.P.D. Berzirkssekr[e]tariat als Stenotypistin und letzterer als Jugend- leiter der Partei, bleiben in Siegen. 1933 erneuter Zusammenbruch. Von den Nazis drangsaliert, rausgeschmissen, Sied- lungswohnung in Bochum sofort verlassen müssen. Wieder arbeitslos _ Frau und der jünger[e] Sohn Walter verfolgt. Charlotte und Alfred in Siegen traf dasselbe Loos . Keiner von uns hat die Treue der Partei und Gewerkschaft gebrochen, nichts konnte, auch das Härteste nicht dazu beitragen der verruchten Bande zu folgen. Jetzt - schon nach dem 2ten Zusammen- bruch wieder tätig, ehrenamtlich beim Aufbau von Mai 1945. Zufrieden mit meiner kleinen Rente als 75jähriger. Auch die Kinder. der Älteste Alfred in Siegen, die Tochter Charlotte in Holzminden in Partei und Gewerkschaft tätig. |
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[Seite] VIII
Das ist das [?] Loos – aber auch das Schöne und das Her[r]liche im Menschen, die Treue und Überzeugung trotz Not Verfolgung und Quahl unerschütterlich seineKraft, sein Können und Wissen im Dienste der darbenden Menschheit zu opfern. Dies soll [Streichung] mein Leben und das Leben meiner Kinder bis zum letzten Atemzuge sein. Geschrieben am 1ten Ostertage 1950. Vincent Gozdzikowski
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